Frontex: Legitimierte Menschenrechtsverletzungen?

Spätestens seit den Flüchtlingsströmen auf Malta und der italienischen Insel Lampedusa infolge der arabischen Revolutionen sollte die Grenzschutzagentur Frontex allen Menschen bekannt sein. Offiziell soll die Agentur die Zusammenarbeit der EU-Mitgliedsstaaten beim Schutz der europäischen Außengrenzen organisieren und koordinieren. Jedoch kritisieren viele Menschenrechtsorganisationen schon seit langem, dass das Vorgehen der Agentur massiv gegen die europäische Menschenrechts- und die Genfer Flüchtlingskonvention verstoßen.

In einem Artikel vom 30.03.2011 wurde bereits kritisch auf das Verhältnis der europäischen Staaten zur restlichen Welt, insbesondere zu ärmeren Ländern, hingewiesen. Frontex steht wie kaum ein anderer Akteur in dieser Beziehung für die fragwürdige Linie der aktuellen EU-Politik: Abschottung, Ausgrenzung und die Sicherung des eigenen Wohlstands um jeden Preis! Die Grenzschutzagentur wurde augenscheinlich primär zu dem Zweck gegründet, ein Bollwerk gegen Asylsuchende aus der ganzen Welt zu errichten und zu verteidigen. Menschen die Hilfe benötigen werden zu „Illegalen“ gemacht und auf teils brutale und menschenverachtende Weise abgewiesen.

Die Agentur Frontex wurde im Mai 2005 gegründet und hat ihren Sitz in Warschau. Sie beschäftigt ca. 270 Mitarbeiter und koordiniert Grenzschutzeinheiten in ganz Europa. Für den Schutz der EU-Außengrenzen sind normalerweise die jeweiligen Staaten selbst verantwortlich, Frontex unterstützt sie dabei jedoch in erheblichem Maße. So stellen sie bspw. „schnelle Eingreiftruppen“ und Material bereit oder vermittelt Grenzschutzgruppen anderer EU-Staaten. Finanziert wird die Agentur hauptsächlich durch Gelder der Europäischen Union und Beiträge einzelner Mitgliedsstaaten (Schengen-Staaten). Bislang war Frontex nur sehr wenigen Menschen bekannt. Schaut man sich die Praxis der Grenzschützer genauer an, war dies höchstwahrscheinlich auch so gewollt.

Frontex selbst zieht eine äußerst positive Bilanz ihrer Arbeit. So sei – seit Einsatzbeginn der Agentur – ein deutlicher Rückgang der Flüchtlingszahlen erkennbar. Menschenrechtsorganisationen, wie Pro Asyl oder Amnesty International kritisieren die Einsätze hingegen scharf. Sie stellten nach eingehenden Untersuchungen fest, dass Flüchtlinge oft abgefangen und ohne die Aufnahme eines Asyl-Verfahrens wieder in Staaten außerhalb der EU geschickt werden. Dies widerspricht sowohl der EU- als auch den Genfer Konvention zum Umgang mit Asylsuchenden.

Frontex beteuert jedoch, dass sie den Flüchtlingen ausschließlich helfe bzw. sie auf offenem Meer rette und in keinem Fall zu einer Umkehr zwinge. Pro-Asyl befragte jedoch einige Flüchtlinge, deren erschütternde Erfahrungsberichte ein ganz anderes Bild zeigen:

»Wir waren zehn Afghanen in einem Schlauchboot. Wir waren auf dem Weg nach Lesbos, als ein großes weißes Schiff kam. Dieses Schiff hat uns an Bord genommen. Anschließend fuhr es weiter. Es war auf der Suche nach weiteren Flüchtlingen. Wir trafen auf ein Boot mit 22 Flüchtlingen. Auch sie wurden festgenommen. Dann fuhren wir Richtung Türkei. Sie zwangen uns, das größere der beiden Schlauchboote zu besteigen. Das Schlauchboot hatte weder einen Motor, noch gaben sie uns Paddel. Wir waren hilflos dem offenen Meer ausgesetzt. Doch unser Boot trieb nicht Richtung Türkei, sondern zurück nach Lesbos.« (Bericht eines minderjährigem afghanischen Flüchtlings, Lesbos, August 2008)

»Wir waren sechs Flüchtlinge in einem Paddelboot. Alle aus Afghanistan. Wir hatten fast die Küste von Lesbos erreicht. Dann kam die Küstenwache. Sie stoppten unser Boot, nahmen uns an Bord und brachten uns in den Hafen von Mitilini. Dort mussten wir uns bis auf die Unterhosen ausziehen. Sie warfen das Handy über Bord. Dann kamen andere Maskierte und haben uns auf ein anderes Schiff gebracht. Sie fuhren mit uns Richtung Türkei zurück und setzten uns nahe der Küste aus. Wir hatten keine Paddel. Nur mit viel Glück erreichten wir die Küste.« (Bericht eines minderjährigen afghanischen Flüchtlings, Lesbos, August 2008)

Bislang werden die Einsätze der Agentur geheim gehalten. Niemand weiß genau, was Frontex in ihren Einsätzen genau tut; die Agentur scheint niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen. Es existieren zudem keine Dienstanweisungen oder entsprechende Richtlinien, welche die Europäische Menschenrechtskonvention für die Agentur zu einer verbindlichen Vorgabe im Rahmen ihrer Einsätze macht. Einige Menschenrechtsorganisationen stellen in einem offiziellen Gutachten jedoch fest, „dass es Grenzbeamten europäischer Staaten verboten ist, potenziell Schutzbedürftige auf See zurückzuweisen, zurückzueskortieren, an der Weiterfahrt zu hindern oder in nicht zur EU gehörende Länder zurückzuschleppen. Die Europäische Menschenrechtskonvention verbietet eine Zurückweisung ohne Prüfung der Schutzbedürftigkeit.“

Bisher war es nicht möglich, Frontex direkte Menschenrechtsverletzungen nachzuweisen. Dies begründet sich vor allem durch die äußerst undurchsichtige Praxis der Agentur. Jedoch „häufen sich die Hinweise, dass FRONTEX in Menschenrechtsverletzungen involviert ist und dass die Grenzagentur zur massiven Gefährdung der Schutzsuchenden auf ihren Fluchtrouten beiträgt“, so ein Bericht von Pro Asyl.

Weiter heißt es: „Deutschland und die anderen EU-Staaten reagieren auf die Schutzsuchenden an den Außengrenzen mit massiver Aufrüstung und Abschreckung. Demütigungen, Misshandlungen bis hin zu illegalen Zurückweisungen an den Grenzen sind inzwischen vielfach dokumentiert. Auch die von der EU gegründete Grenzschutzagentur FRONTEX operiert im Mittelmeer und im Atlantik unter Missachtung der Flüchtlings- und Menschenrechte. In internationalen Gewässern werden Flüchtlingsboote verfolgt und zurückgedrängt. Schutzsuchende sind so gezwungen, auf ihrer Fluchtroute immer größere Risiken auf sich zu nehmen. Die Gefahr, dabei zu Tode zu kommen, steigt. Das Mittelmeer und Teile des Atlantiks entwickeln sich zu einem menschenrechtsfreien Raum. Die Operationen von FRONTEX sind auch aufgrund personeller und finanzieller Beteiligung Deutschlands möglich.“

Grundsätzlich müssen wir darüber nachdenken und diskutieren, wie wir mit denjenigen umgehen wollen, auf deren Kosten wir schon seit Jahrzehnten leben. Momentan wird in der EU jedoch vor allem auf Abschottung gesetzt; und das in einer Weise, die jegliche demokratischen und ethischen Werte außer Acht lässt. Die menschenrechtsverachtenden Vorgehensweisen der europäischen Grenzschützer und insbesondere der Agentur Frontex lassen sich nur noch schwer leugnen. Es scheint ausschließlich darum zu gehen, die privilegierten europäischen Bürger bzw. deren Wohlstand zu schützen; egal zu welchem Preis.

Weitere Informationen zu Frontex und der fragwürdigen Arbeit der Agentur gibt es unter anderem bei Amnesty International, ProAsyl, auf tagesschau.de und swr.de.

Zudem zeigte die ARD am vergangenen Sonntag einen „Tatort“, welcher sich in Teilen kritisch mit den Methoden von Frontex auseinandersetzt. Die Folge mit dem Titel „Der illegale Tod“ kann noch voraussichtlich bis zum Wochenende online in der ARD-Mediathek angesehen werden.

hd

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2 Antworten zu Frontex: Legitimierte Menschenrechtsverletzungen?

  1. Eva schreibt:

    Ein dickes Lob für diesen Beitrag über Frontex.
    Da Deutschland Frontex fleißig mitfinanziert, sollte zumindest hier schon mal ein Riegel vorgeschoben werden. Aus diesem Grund habe ich über das Kampagnen-Netzwerk avaaz.org eine entsprechende Bürgerpetition ins Leben gerufen. Ich würde mich über viele Unterschriften freuen, da wir nur gemeinsam etwas bewegen können.
    http://www.avaaz.org/de/petition/Frontex_abschaffen_nicht_weiter_finanzieren/?eGoIIab

  2. Pingback: Wenn die Vertreter von Freiheit und Demokratie selbst nicht daran glauben « Meryems Welt

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