Einige Gedanken zur Rede des Papstes vor dem Bundestag

Darf der Papst vor dem Bundestag reden? Diese Frage wurde mindestens so intensiv wie oberflächlich und ergebnislos diskutiert. Geändert hat sich nichts. Er kam und sprach. Im Nachhinein betrachtet war seine Rede weder missionierend noch von katholischer Arroganz geprägt. Allein, es bleibt die Tatsache, dass die Form seines Besuches einen schalen Nachgeschmack hinterlässt.

Zunächst sei gesagt, dass in einem (angeblich) säkularen Staat das Parlament frei von religiöser Bevorzugung sein sollte. Demnach darf nicht ein religiöses Oberhaupt eingeladen werden, während andere außen vor bleiben. Um diesen Missstand auszugleichen sollten schnellstmöglich Einladungen beispielsweise an Nikolaus Schneider (Ratsvorsitzender der evangelischen Kirche in Deutschland), Aiman A. Mazyek (Sprecher des Koordinationsrates der Muslime in Deutschland), Dieter Graumann (Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland) und andere Vertreter von Glaubensgemeinschaften ausgesprochen werden.

Zudem stellt das Halten einer Rede eine Situation her, in der dem Redner eine größere Bedeutung beigemessen wird, als dem Zuhörer. Ein Zustand, der eines aufgeklärten, demokratischen Parlaments nicht angemessen ist. Wenn schon ein Kontakt hergestellt wird, so sollte dieser bidirektional sein. Wäre die Rede des Papstes in eine Debatte zu einem bestimmten Thema eingebunden gewesen, hätte ein beidseitiger Austausch stattfinden können. So jedoch muss der, zugegebenermaßen unglücklich formulierte, Vorwurf eines Missionsgedanken als bestätigt angesehen werden. Natürlich wird das bloße Halten einer Rede keinen Abgeordneten zur Abkehr von seinen Überzeugungen bewegen, doch stellt diese Form einen Maulkorb für Kritiker dar.

Diesen blieb demnach nur noch der Boykott als Ausdrucksmittel von (legitimem) Protest. Um sich nicht die Blöße geben zu müssen, den „heiligen Vater“ mit anklagend leeren Stühlen zu konfrontieren, füllte man diese kurzerhand mit ehemaligen Abgeordneten. Diese Vertuschung von Protest grenzt an Zensur und Einschränkung der freien Meinungsäußerung. Jegliche Form von Widerspruch wurde unsichtbar gemacht. Immerhin hat die „Stuhlfrage“ endlich einmal die Medien dazu gebracht, über leere Plätze im Bundestag zu berichten, auch wenn das in anderen Zusammenhängen deutlich angebrachter wäre. Schließlich handelt es sich beim Besuch des Papstes nicht um bedeutsame Auseinandersetzungen über wirklich wichtige Themen – diese werden ständig vor leerem Haus ausgetragen –, sondern um ein gigantisches Unterhaltungsevent.

Das unangenehmste an der Deutschlandreise jedoch ist, dass sogar seriöse Zeitungen sich erblöden, aus ihr ein Boulevardthema vom Format royaler Hochzeiten zu machen. Keine Sendung, keine Zeitung, keine Nachrichtenseite, ja, noch nicht einmal res.publica kommt ohne einen Bericht zum Papst aus. Allerdings muss uns zugute gehalten werden, dass wir immerhin darauf verzichten, in Beckmann-Manier (wenn auch diesmal in der Person von Frank Plasberg) das persönliche Schicksal eines Wolfgang Niedecken auszubreiten oder wie Frau Maischberger – frei nach dem Motto „Tumult macht Quote“ – Wilhelm Imkamp, einen reaktionären Wolf im kalauernden Schafspelz, auf die Öffentlichkeit loszulassen.

Ungeachtet der boulevardesken Züge dieser Deutschlandtournee hat der Papst aber auch Inhalte in seiner Rede vermittelt. Schon in seiner Einleitung strafte der Papst die Befürworter seiner Anwesenheit Lügen, die argumentiert hatten, auch andere Staatsoberhäupter hätten bereits vor dem Bundestag gesprochen. Wörtlich sagte er: „Aber die Einladung zu dieser Rede gilt mir als Papst, als Bischof von Rom, der die oberste Verantwortung für die katholische Christenheit trägt.“. Dies war jedoch, entgegen möglicher Erwartungen, nicht der Beginn einer Predigt, sondern einer sehr nachdenklichen, philosophischen Rede. In ihr plädierte Benedikt XVI. für das Gewissen als Maßstab allen Handelns und beklagte die Vorherrschaft der „reinen Vernunft“, die Loslösung der Tat von aller Moral. Er sprach von einer Kultur der Rationalität, die alles andere in den Status der Subkultur drängt. Als Lösung bot er eine Rückbesinnung auf die Wurzeln der europäischen Identität: „[die] Begegnung zwischen dem Gottesglauben Israels, der philosophischen Vernunft der Griechen und dem Rechtsdenken Roms“. Abschließend appellierte er an die Abgeordneten, es Salomon gleichzutun und demütig um ein hörendes Herz zu bitten, um Gut von Böse unterscheiden zu können.

Die Kernaussage, dass sich die Gesellschaft immer mehr von der Menschlichkeit entfernt und diese Entwicklung alles andere als wünschenswert ist, sowie die Aufforderung, moralische Maßstäbe höher zu stellen als materielle Gewinne, waren genau an die richtige Adresse gerichtet. Sieht man einmal von der religiösen Herleitung ab, so war die Rede eine, die mit Sicherheit viele Bürger ihren Volksvertretern liebend gerne einbläuen würden. Allerdings bleibt zu bezweifeln, dass die Worte, trotz der scheinbar hohen Meinung einiger Zuhörer vom Sprecher, ihren Weg durch das Dickicht von finanziellen Interessen und Machtgier finden werden und sich im Gewissen der Abgeordneten einnisten werden.

Abgesehen vom wahren Kern der Rede gab es dennoch einige Punkte, die Kritik verdienen. So sprach der Papst von den Nationalsozialisten als „Räuberbande“ – ein Euphemismus, der, angesichts der (noch immer nicht aufgearbeiteten) Verwicklung der katholischen Kirche in dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte, mehr als geschmacklos ist.

Auch behauptete er, die Kirche habe nie einer Gesellschaft oder einem Staat eine Rechtsordnung qua Offenbarung vorgegeben. Was aber anderes als eine von Gott offenbarte Rechtsordnung sind die zehn Gebote? Auch die vielen Dogmen der katholischen Kirche, immerhin von Gottes unfehlbaren Stellvertretern auf Erden verkündet, stellen keine hergeleiteten Empfehlungen dar, sondern entspringen der Bibel – dem Wort Gottes – und werden auch nicht zur Diskussion gestellt. Sie sind absolut. Ein wenig wirkte es so, als sollte die Rede sich mit ihrem Subtext an der Demokratie reiben, auf dass diese auf den Redner, einen der letzten absolutistischen Herrscher der Welt, abfärbe.

Was bleibt? Die Scham über den pubertär anmutenden Hype um einen 84jährigen. Das Entsetzen über das demokratische Sakrileg einer zugunsten eines religiösen Oberhauptes verschobenen Tagesschau. Die Erleichterung, den medial anstrengendsten Tag dieses Deutschlandbesuches hinter sich gebracht zu haben. Aber auch die Hoffnung, das wenigstens ein Abgeordneter von nun an moralischen Werten in seinen Entscheidungen mehr Raum gewährt.

 bd

Die Rede ist beim Tagesspiegel als Transkript und bei der Tagesschau als Video verfügbar.

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7 Antworten zu Einige Gedanken zur Rede des Papstes vor dem Bundestag

  1. bobrobotboy schreibt:

    „Die Frage, wie man das wahrhaft Rechte erkennen und so der Gerechtigkeit in der Gesetzgebung dienen kann, war nie einfach zu beantworten, und sie ist heute in der Fülle unseres Wissens und unseres Könnens noch sehr viel schwieriger geworden.“

    Nö. Das wahrhaft „Rechte“ lässt sich problemlos verorten. Es tötet seine eigenen und auch Bürger fremder Staaten und beruft sich dabei gerne auf Gott, wie jeder Dollar Note zu entnehmen ist.

    • bobrobotboy schreibt:

      Natürlich versäumte es der Papst die aktuelle „Räuberbande“ klar zu identifizieren.

    • respu schreibt:

      Herzlichen Dank für Ihren Kommentar. Allerdings glaube ich, dass in dem von Ihnen zitierten Satz viel Wahrheit steckt. Natürlich impliziert der Papst darin, dass der christliche Glaube hilft, das wahrhaft Rechte zu erkennen – eine Schlussfolgerung, die ich nicht teile. Jedoch ist es doch tatsächlich so, dass die Komplexität der modernen globalisierten Welt klare Werturteile verhindert. Die Konsequenzen einer noch so unscheinbaren Entscheidung sind mittlerweile immens und der Wissensstand der Menschheit ist einer der Gründe dafür.
      Ich bin kein Freund der Institution Kirche und auch kein gläubiger Mensch, jedoch sehe ich eine große Gefahr in der Unüberschaubarkeit und Verwissenschaftlichung von Handlungsfolgen. Ich empfehle zu diesem Thema das (definitiv nicht religiös eingefärbte) Buch „Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne“ von Ulrich Beck, erschienen 1986 im Suhrkamp-Verlag.
      Gruß,
      bd

  2. wrzlbrnft schreibt:

    Dieser Vergleich hinkt doch sehr stark: „Um diesen Missstand auszugleichen sollten schnellstmöglich Einladungen beispielsweise an Nikolaus Schneider (Ratsvorsitzender der evangelischen Kirche in Deutschland), Aiman A. Mazyek (Sprecher des Koordinationsrates der Muslime in Deutschland), Dieter Graumann (Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland)…“. Es sprach Beendigt der XVI und nicht Erzbischof Robert Zollitsch.
    Sonst, gerade im Mittelteil ein guter Kommentar.

    • respu schreibt:

      Vielen Dank für die Kritik. Ich war auch nicht wirklich glücklich mit diesem Vergleich. Jedoch gibt es, abgesehen vom Dalai Lama, kein mir bekanntes religiöses Oberhaupt mit einer dem Papst ähnlichen Stellung. Zudem bezweifle ich, dass Zollitsch in einer Rede vor dem Bundestag andere Werte als der Papst vertreten hätte. Auch geht es mir nicht darum, einem möglichst hohen Glaubensvertreter die Ehre zuteil werden zu lassen vor dem Parlament sprechen zu dürfen, sondern um einen qualifizierten Austausch zwischen Demokratie und Religionen.
      Wenn Ihnen geistliche Würdenträger in Islam, Judentum, evangelischer Kirche und anderen Glaubensinstitutionen mit einer hierarchischen Position ähnlich der des Papstes bekannt sind, so bin ich mehr als bereit diese in den Artikel aufzunehmen.

      Mit freundlichen Grüßen,
      bd

  3. Katholik schreibt:

    „Auch behauptete er, die Kirche habe nie einer Gesellschaft oder einem Staat eine Rechtsordnung qua Offenbarung vorgegeben. Was aber anderes als eine von Gott offenbarte Rechtsordnung sind die zehn Gebote? Auch die vielen Dogmen der katholischen Kirche, immerhin von Gottes unfehlbaren Stellvertretern auf Erden verkündet, stellen keine hergeleiteten Empfehlungen dar, sondern entspringen der Bibel – dem Wort Gottes – und werden auch nicht zur Diskussion gestellt. Sie sind absolut. Ein wenig wirkte es so, als sollte die Rede sich mit ihrem Subtext an der Demokratie reiben, auf dass diese auf den Redner, einen der letzten absolutistischen Herrscher der Welt, abfärbe.“

    Hierzu ist zu sagen, dass die zehn Gebote ja nicht von der Kirche den Juden vorgegeben worden sind, sondern von Moses (und dieser bekam sie laut Exodus direkt von Gott, als hier trifft Offenbarung natürlich schon zu). Daher ist diese „Rechtsordnung“ – man müsste das weitere Gesetz der Juden ja noch dazufügen, denn die zehn Gebote sind ja nicht alles – zwar durch Offenbarung vorgegeben, jedoch eben nicht von der Kirche. Und sie hat diese Gebote auch niemals unmittelbar in eine Rechtsordnung gepresst. Daher ist dieses Beispiel nicht treffend.

    Auch die Dogmen sind keine Rechtsordnung, die das Zusammenleben von Menschen regeln soll, sondern es handelt sich um Glaubenssätze. Vergleichbar etwa mit einem mathematischem Satz, der einfach etwas wahres besagt, nur eben im Gegensatz dazu durch Offenbarung bestätigt statt durch Logik. Ein Dogma ist etwa, dass Jesus wahrer Mensch und wahrer Gott ist. Dies ist ein typtisches (und sehr wichtiges) Dogma. Mit einer Rechtsordnung hat es aber freilich nichts zu tun. Nab darf das also nicht miteinander vermischen.

    Der Papst hat also Recht, dass die Kirche keine Rechtsordnung per Offenbarung vorlegt. Das Paulus-Zitat des Papstes ist tatsächlich wegweisender, weil in der Tradition der Kirche durchaus eher die Vernunft maßgeblich war für die Gesetzgebung – und eben nicht die Offenbarung.

    • respu schreibt:

      Vielen Dank für die Kritik.
      Ich erkenne an, dass das Beispiel der Zehn Gebote ein wenig an der Sache vorbeigeht, da sie älter sind, als die katholische Kirche. Ob die Kirche sie jemals in eine offizielle Rechtsordnung gepresst hat, kann ich als Laie nicht beurteilen. Allerdings stellen sie an sich bereits eine Art Rechtsordnung mit einer gewissen Verbindlichkeit dar.
      Was die Dogmen angeht, muss ich ihnen widersprechen. Ein Dogma ist definiert als Lehrmeinung mit absolutem Wahrheits- und Allgemeingültigkeitsanspruch. Eine solche Lehrmeinung stellt beispielsweise das päpstliche Primat dar. Dieses Dogma gehört zum positiv-göttlichen Recht (ius divinum positivum) (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%B6ttliches_Recht#Kirchenrecht), das die katholische Kirche sehr wohl kennt:
      „Seit dem 11. Jahrhundert unterscheidet man nicht nur zwischen „weltlichem“ (staatlichem) und „geistlichem“ (kirchlichem) Recht, sondern auch innerhalb des geistlichen Rechts zwischen veränderbaren und unveränderlichen Rechtssätzen (Normen). Dabei wurde der Begriff „ius divinum“ – göttliches Recht – zum zentralen Ausdruck für dasjenige Recht, das sich unmittelbar auf den Willen Gottes zurückführen lässt. Das ius divinum ist vorgegeben, übergeordnet und überzeitlich.“ (Quelle: http://www.bistum-regensburg.de/borPage003545.asp)
      Demnach ist die Grundlage des Papsttums, einem elementaren Bestandteils des katholischen Glaubens, qua Offenbarung in eine Rechtsordnung übergegangen. Diese Rechtsordnung ist, wie aus ihr selbst hervorgeht, gültig für die Gemeinschaft der Christen.
      Ein Beispiel für den Versuch, diese Rechtsordnung einem Staat aufzunötigen kann in der Exkommunikation von Heinrich VIII. als Reaktion auf den Act of Supremacy gesehen werden. Die Lossagung von Rom und damit die Nicht-Anerkennung des päpstlichen Primats sollte so verhindert bzw. bestraft werden.
      Aus oben genannten Gründen behalte ich die Formulierungen im Artikel bei, bin jedoch bereit mich in einer weiteren Diskussion überzeugen zu lassen, dass die katholische Kirche kein offenbartes Recht als Rechtsordnung vorlegt bzw. vorgelegt hat.

      Mit freundlichen Grüßen,
      bd

      P.S.: Es ist nie meine Absicht gewesen, religiöse Gefühle zu verletzen. Sollte dies der Fall gewesen sein, bitte ich um Entschuldigung. Ich persönlich halte aus vielerlei Gründen nicht viel von institutionalisierter Religion, habe jedoch große Achtung vor dem persönlichen Glauben Einzelner.

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