Protest und Gewalt

Immer wieder flimmern Bilder von Protesten über den Bildschirm. Meist zeigen sie gewalttätige Auseinandersetzung sogenannter Linker mit wechselnden Gegnern. Seien es Neonazis, Polizisten, Fundamentalisten und in Ermangelung anderer Hassobjekte oft auch leblose Gegenstände wie Scheiben, Autos und Mülltonnen.

Die Medien berichten dann von „Autonomen“, „Krawalltouristen“, „Linken“ oder „Gegendemonstranten“. Diese Vielzahl an Bezeichnungen beweist jedoch nicht die Differenziertheit der Berichte, sondern sie werden synonym verwendet. Das transportierte Bild des stereotypen Protestlers ist das des krawalltouristischen, linken, autonomen Gegendemonstranten. Sobald von Protesten die Rede ist, entsteht vor dem geistigen Auge das Bild von fliegenden Steinen und brennenden Barrikaden.

Doch wer protestiert tatsächlich? Meist werden die Demonstrationen von politischen Parteien oder bürgerlichen Bündnissen angemeldet. Der Name des Anmelders garantiert bei der Mobilisierung einen seriösen Eindruck. Das soll nicht heißen, dass es sich dabei um eine Maskerade handelt, sondern, dass auch viele dem Anmelder nahe stehende Personen bei der Veranstaltung zu erwarten sind. Und schon weicht das transportierte Bild vom linksextremistischen Krawall von der Realität des breiten bürgerlichen Protests ab, schließlich würde niemand der SPD oder dem DGB Gewaltbereitschaft unterstellen. Doch wie kommt es dazu, dass Medienberichte stark von vermummten „Steineschmeißern“ dominiert werden?

 

Das Problem hat (mindestens) zwei Seiten. Das transportierte Bild entspricht einem Ausschnitt der Realität, aber eben nur einem Ausschnitt. Das bedeutet, dass es definitiv regelmäßig Gewalt und Ausschreitungen gibt. Es bedeutet aber auch, dass die Medien ihre Aufmerksamkeit fast ausschließlich diesen Vorfällen widmen.

Wenden wir uns zunächst der Rolle der Medien zu. Sie zeigen das, was die Auflage, die Einschaltquoten oder die Klicks steigert. Natürlich sind Redaktionen Wirtschaftsunternehmen und niemand verlangt, dass sie über Irrelevantes berichten. Allerdings sollten sie dennoch der Objektivität verpflichtet sein. Diese Objektivität scheitert jedoch schon an einer differenzierten Sprache. Wenn bei Protesten gegen einen Nazi-Aufmarsch, Atommülltransporte oder unbeliebte Regierungsentscheidungen durchgängig von linken Gegendemonstranten die Rede ist, so wird dies der Situation nicht gerecht. Protest gegen menschenverachtendes Gedankengut, Umweltzerstörung oder unsoziale Politik ist keine Frage der politischen Ausrichtung, sondern eine moralische. Auch Konservative können und sollten Holocaust-Leugnern, problematischen Technologien oder sozialen Missständen entgegentreten. Wird jedoch stets nur von linken Randalierern berichtet, so wird jeder Konservative es sich zweimal überlegen, an einer solchen Veranstaltung teilzunehmen. Einige tun dies dankenswerterweise trotzdem und werden dann von den Medien verschwiegen.

Dies ist nicht nur aus Objektivitätsgründen problematisch, sondern auch weil friedlicher Protest an sich schon oft genug wenig direkte Wirkung hat. Wird er nun entweder verschwiegen oder in eine linksradikale Ecke gestellt, so führt dies zu einer starken Frustration und könnte bürgerliches Engagement in letzter Konsequenz zum Einschlafen bringen. Doch gerade von diesem Engagement lebt die Demokratie. Beteiligung ist unbedingt notwendig und das Mitspracherecht endet nicht an der Wahlurne. In vier Jahren kann sich Vieles ändern und es ist falsch, mit seinem Protest auf die nächste Wahl zu warten.

Partizipation bedeutet allerdings, und damit kommen wir zum zweiten Aspekt der Problematik, konstruktiv mitzuwirken. Gewalt kann in einigen Formen äußerst konstruktiv, in den meisten Fällen aber auch sehr destruktiv sein. Es ist also unabdingbar zunächst den Gewaltbegriff näher zu betrachten.

Gewalt begegnet uns in vielen Gestalten. Sie kann körperlicher oder psychischer Art sein, sich gegen Dinge oder Menschen richten, strukturell oder konkret, stark oder schwach sein. Keine dieser Kategorien kann per se als „gut“ oder „schlecht“ beurteilt werden. Stellt man sich jemandem in den Weg, so ist das genauso körperliche Gewalt, wie eine Körperverletzung. Jemanden zu unterbrechen ist ebenso verbale Gewalt wie eine schwere Beleidigung. Bezogen auf Protestveranstaltungen stellen also Lärm, Blockaden und sogar schon die Anwesenheit genau genommen einen Akt der Gewalt dar. Dementsprechend stellt sich bei Protesten nicht die Frage der Gewaltfreiheit, sondern die Frage nach dem Ausmaß bzw. der Art der Gewalt. Die Grenze des Vertretbaren muss jeder für sich individuell und situationsbedingt festlegen.

Dies soll jedoch nicht bedeuten, dass Gewaltanwendung nur von der persönlichen Gewaltbereitschaft abhängen sollte. Zwar kann die Ausübung von Gewalt nur selten verhindert werden, doch sollte der Betreffende sich über die Konsequenzen bewusst sein. Damit sind nicht nur die strafrechtliche Verfolgung oder moralische Verwerflichkeit, welche schon Grund genug für gewaltfreies Handeln sein sollten, gemeint, sondern auch die Sinnhaftigkeit und Effizienz einer solchen Handlung. Bedenkt man den Hang der Medien zur Sensationslust, so läuft militanter Protest schnell Gefahr auf die Militanz reduziert zu werden, wobei das eigentliche Anliegen in den Hintergrund rückt.

Auch stellt sich die Frage, inwiefern die eigene Position Gewaltanwendung zulässt. Als Beispiel soll hier ein Nazi-Aufmarsch im Januar 2011 in Wuppertal dienen. Die rechte Demonstration richtete sich ausdrücklich gegen linke Gewalt. Inwiefern dieses Motto gerechtfertigt war, ist an dieser Stelle irrelevant. Viel wichtiger ist, dass es quasi eine sich selbst erfüllende Prophezeiung darstellt. Die ursprüngliche Demostrecke sollte am autonomen Zentrum vorbei führen – die ultimative Provokation. Als Antwort wurden Gleise blockiert, Flaschen geworfen und Neonazis verprügelt. Ein voller Erfolg für die Rechten, da die Gegendemonstranten die passenden Bilder zu ihrem Motto lieferten.

Doch auch bei anderen rechten Veranstaltungen sollte man sich fragen, ob es Sinn macht, Gewalt gegen Menschen auszuüben, weil diese wiederum Gewalt gegen andere Menschen ausüben. Unter diesem Aspekt betrachtet verschwindet der Unterschied zwischen dem Neonazi, der Ausländer jagt und dem Gegendemonstranten, der Nazis jagt. Verfolgt man diesen Gedanken konsequent zu Ende, müsste die Selbstverachtung militanter Antifaschisten grenzenlos sein.

Doch auch bei Veranstaltungen, bei denen es keinen klaren Gegner gibt oder dieser nicht anwesend ist, kommt es zu Eskalationen. Meist sind dann Polizisten das Objekt der Gewalt. Auch hier tritt in der Berichterstattung dann das eventuell hehre Anliegen hinter den Bildern von fliegenden Steinen zurück. Einerseits ist es zwar sinnvoll, das Gewaltmonopol und -verhalten der Polizei allgemein und das von einzelnen Polizisten im Speziellen sowie mögliche Gegenreaktionen zu diskutieren, andererseits jedoch entspringen Angriffe auf Polizisten nur allzu oft einer unreflektierten Action-Orientierung.

Eine wohlüberlegte und angemessene Gegenwehr gegen Polizeigewalt ist zumindest diskussionswürdig, die generelle Meinung, Polizisten hätten nichts anderes verdient, ist jedoch in keinem Fall zu akzeptieren. Eine solche Haltung ist weder durch eine politische Einstellung noch moralisch zu rechtfertigen und bringt die Gesamtheit des politischen Engagements in Verruf.

Generell lässt sich sagen, dass jegliche Aktionen, die darauf abzielen Personen zu verletzen, in keinster Weise etwas mit Protest zu tun haben. Sie sind allenfalls dazu geeignet, die eigene Haltung als rücksichtslos und unreflektiert zu entlarven und bergen die Gefahr auf die gesamte Veranstaltung verallgemeinert zu werden. Aktive körperliche Gewalt darf nur ultima ratio im Falle von Notwehr oder -hilfe sein.

Abschließend ist zu sagen, dass jeder Mensch aufgefordert ist, seine Haltung friedlich und ohne Aggression auf die Straße zu tragen. Dies schließt auch die Verhinderung von Gewalt ein. Wer seine Haltung nicht von Schwarzvermummten verdeckt wissen will, muss aktiv daran mitwirken, den Medien andere Bilder zu liefern. Dazu gehört einerseits natürlich das Einschreiten gegen aggressives Verhalten, andererseits aber auch das Ausnutzen kreativer Protestformen. Langweilige Latschdemos sind medial nicht vermittelbar. Bunter, ironischer und ungewöhnlicher Protest jedoch liefert den Medien einen Aufhänger, um das Anliegen in die Welt zu tragen.

bd

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