Wie Demokratie leben I – Bestandsaufnahme und Kritik

Was bedeutet uns Demokratie heute? Was verstehen wir unter Demokratie? Wie steht es um unsere Demokratie? Was sind wir bereit, zu einer gelingenden Demokratie beizutragen? Und wie können wir überhaupt etwas zu einer gelingenden Demokratie beitragen?

Die mit diesem Teil beginnende Reihe will versuchen, Antworten auf diese Fragen zu liefern. Zu Beginn sollen jedoch zunächst einige Gedanken zur aktuellen Lage der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland geäußert werden.

Wir leben in einem demokratischen System, genauer in einer repräsentativen Demokratie. Dies bedeutet zunächst, dass wir in jedem vierten bzw. fünften Jahr an die Wahlurnen treten und Vertreter wählen, die uns in politischen Angelegenheiten und Entscheidungsprozessen hoffentlich angemessen vertreten werden. Außerdem zeichnet sich unser demokratisches System durch eine Verfassung, namentlich das Grundgesetz, aus, welche uns grundlegende Rechte zusichert und die demokratische Form unseres Staates festlegt. Der Einfachheit halber bleibt die Analyse des demokratischen Systems der Bundesrepublik Deutschland an dieser Stelle auf diese zwei Merkmale beschränkt.

Sowohl am Konstrukt der repräsentativen Demokratie, als auch am Umgang mit den Grundrechten gibt es auch in Deutschland immer wieder (oftmals berechtigte) Kritik.

Die gewählten Volksvertreter verhalten sich nur allzu oft eben nicht wie gewählte Vertreter des Volkes, gegenüber welchem sie allein verantwortlich sind. Ständig finden sich Berichte über intransparente Verstrickungen zwischen Politikern und meist finanzstarken Akteuren. Insbesondere unsere derzeitige Bundesregierung unter Beteiligung der FDP versuchte vor allem zu Beginn der Legislaturperiode nicht einmal ihre einzelne Klientelgruppen begünstigende Politik zu verschleiern. Jedoch ist dies nicht allein ein Kritikpunkt an der FDP. Jede Partei bezieht Spenden von diversen Wirtschaftsunternehmen, Politiker aller Parteien  pflegen (oftmals geheime) Verbindungen zu Lobbyisten. Viele dieser Verbindungen sind dabei leider auch noch legal. Wir von res.publica berichteten bereits mehrfach über Missstände in diesen Bereichen (siehe Links in diesem Artikel und Archiv) oder wiesen auf entsprechende Initiativen, Kampagnen und Veröffentlichungen hin.

Das System der repräsentativen Demokratie hat eindeutige Schwächen. Diese sind teilweise von so enormen Ausmaßen, dass das System den Namen Demokratie eigentlich nicht mehr verdient. An dieser Stelle bietet es sich an, die etymologische Bedeutung des Wortes Demokratie näher zu betrachten. Der Begriff setzt sich aus den zwei griechischen Worten demos (Volk) und kratia (Herrschaft) zusammen; also: Herrschaft des Volkes.

In einer repräsentativen Demokratie, wie der unsrigen, verspricht die Bezeichnung schon deutlich mehr, als das System überhaupt zu leisten imstande ist. Ausschließlich alle vier bzw. fünf Jahre einen Vertreter zu wählen, kann nicht als Herrschaft oder grundlegende Beteiligung am politischen Geschehen gesehen werden. Wenn dann auch noch, wie bereits erwähnt, die gewählten Vertreter andere Interessen, als die des Volkes vertreten, wird die Demokratie endgültig zur Makulatur. Mehrfach fiel in diesen Tagen auch hier im Blog die Bezeichnung „verkappte Plutokratie“ (Herrschaft weniger Akteure, welche ausschließlich durch ihr Vermögen zur Herrschaft „berechtigt“ sind). An vielen Stellen wird heutzutage (bspw. aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise) deutlich, wer den wahren Einfluss auf das politische Geschehen in Deutschland hat; das Volk ist es jedenfalls schon lange nicht mehr.

Das zweite genannte Merkmal einer Demokratie ist eine Verfassung und die darin festgeschriebenen Grundrechte eines jeden Menschen. Jedes Jahr veröffentlichen die Innenministerien von Bund und Ländern ihre so genannten Verfassungsschutzberichte. Jeder, der sich auch nur ansatzweise mit den Berichten auseinandersetzt merkt schnell, auf welche Perspektiven und Themen sich diese Berichte beschränken. Salopp gesagt handelt es sich um Berichte ausschließlich über linke, rechte und religiöse (vorwiegend islamistische) Gewalt sowie seit neustem die Gefahren des WorldWideWeb. Dies erweckt den Anschein, dass sich der Staat und seine Organe, als Wächter der Verfassung, ausnahmslos verfassungskonform verhalten würden.

Dass dies nicht der Fall ist, verdeutlicht der inzwischen zum 15. Mal erschienene Grundrechte-Report, welcher von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen herausgegeben wird. Jährlich verdeutlichen diese Berichte, wie viele Verstöße gegen die im Grundgesetz festgeschriebenen Grundrechte es auch von öffentlicher Seite aus gibt. Allein der Report 2011 enthält Berichte über insgesamt 45 solcher Fälle, wobei angemerkt werden muss, dass auch die Herausgeber keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Bspw. dürfte jeder Besucher einer Großdemonstration dahingehend bereits Erfahrungen gemacht haben. Die Gewährleistung der Grundrechte als wichtiges demokratisches Merkmal ist in Deutschland also auch nur unzureichend gegeben.

Viele Leser werden nun anmerken, dass diese Kritik vielleicht berechtigt ist, wir uns in Deutschland aber mehr als glücklich schätzen können. Denn immerhin gibt es deutlich mehr Staaten, in denen es noch viel schlechter um die Demokratie steht. Diese Haltung ist m.E. jedoch sehr gefährlich, da sie Verfassungsbrüchen und dem Abbau der Demokratie hierzulande noch weiter Tür und Tor öffnet. Als weiteres Argument – und vielleicht noch einleuchtendere Begründung, sei hier ein Zitat von Renate Jaeger anlässlich der Veröffentlichung des Grundrechte-Reports 2011 angeführt:

„Der Grundrechte-Report informiert und bewegt. Er hält unser Gewissen wach, damit wir uns angesichts der Gräuel in aller Welt nicht beruhigt zurücklehnen, weil in Deutschland alles besser ist. Besser heißt noch lange nicht gut“ (Humanistischer Pressedienst).

Auch wenn wir immer Staaten finden werden, in denen es noch schlechter um die Demokratie bestellt ist als hierzulande, müssen wir, die Bürger bzw. das Volk in Deutschland, wachsam sein und nicht zuletzt auch aktiv werden. Denn der Abbau unserer Demokratie ist in vollem Gange.

Dass sich viele Menschen augenscheinlich nicht mehr für die Politik interessieren (siehe z.B. die Wahlbeteiligung der letzten Wahlen), kann auf viele Faktoren zurückgeführt werden. Ob es nun die Medien, eine kapitalistische bzw. neoliberale Grundeinstellung, die volksferne Regierungspraxis oder das schlechte Bildungssystem ist. Verantwortlich sind wahrscheinlich alle Faktoren und noch viele mehr. Fest steht in jedem Fall, dass sich nur noch ein verschwindend geringer Anteil der Bevölkerung engagiert und für die Belange des Volkes eintritt. Dies ist die hauptsächliche Gefahr für unsere Demokratie. Denn wenn das Volk auf seine Herrschaft verzichtet, verliert es sehr schnell (zumindest in der Praxis) auch das Anrecht darauf. Wir befinden uns derzeit schon in einem sehr weit fortgeschrittenen Stadium dieses Prozesses. Umso wichtiger ist es, die Bedeutung der Demokratie in unserem Land neu zu überdenken und Formen (der Partizipation) zu finden, die die demokratische Praxis der ursprünglichen Wortbedeutung des Begriffes Demokratie (wieder) näher bringt.

In den nächsten Teilen dieser Reihe werden deshalb vor allem Formen der Partizipation als grundlegendes Merkmal bzw. sichernder Faktor echter Demokratie Thema sein.

hd

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