Gedanken zu einigen Punkten parlamentarischer Praxis in Deutschland

Die Praxis des deutschen Bundestags ist in vielen Punkten zu kritisieren. Man fragt sich häufig (zu Recht), ob das Handeln der gewählten Abgeordneten noch dem Grundgesetz und demokratischen Prinzipien entspricht. An dieser Stelle sollen exemplarisch zwei Beipiele hierfür näher betrachtet und kritisch kommentiert werden: Die offiziellen und inoffiziellen Einkünfte der Politiker, sowie der Konflikt zwischen dem – im Grundgesetz vorgeschriebenen – „freien Mandat“ und dem – in der Praxis vorherrschenden – „Fraktionszwang“.

Abgeordnetengehälter und Nebeneinkünfte

Die Abgeordneten des deutschen Bundestages erhalten seit dem 1. Januar 2009 eine so genannte Abgeordnetenentschädigung in Höhe von 7.668€, welche allerdings einkommenssteuerpflichtig ist. Zudem werden ihnen die Kosten für Büro, Zweitwohnsitz etc. am Parlamentssitz in Form einer Pauschale von 3.868€ erstattet und zudem 14.712€ für Mitarbeiter und Hilfskräfte bereitgestellt. Der erste und häufig genannte Kritikpunkt ist hierbei, dass die Abgeordneten die Höhe ihrer Diäten selbst bestimmen; denn es gibt keine unabhängige Instanz, welche hierfür zuständig ist. Diese Tatsache birgt m.E. jedoch vor allem das Risiko, dass sich eine gewisse Neidkultur bildet. Zwar sind die Abgeordneten-Gehälter nicht besonders niedrig, die entstehende Wut in der Bevölkerung dürfte sich jedoch insbesondere durch die Tatsache begründen, dass die Abgeordneten in dieser Hinsicht scheinbar tun können, was sie wollen. Es mutet zu Recht gefährlich an, dass Politiker frei darüber entscheiden können, welcher Anteil der Steuergelder ihnen selbst zusteht. Selbst wenn sie diese Möglichkeit nicht ausnutzen, bleibt in dieser Hinsicht doch immer ein großes Misstrauen gegenüber den Volksvertretern. Die Höhe der Gehälter scheint derzeit jedoch relativ angemessen. Diese sind zwar recht hoch angesetzt, jedoch bedeutet das Amt eines Abgeordneten eine große Verantwortung; und er wurde vom Volk beauftragt, sich dieser Verantwortung anzunehmen. Leistet ein Abgeordneter entsprechende Arbeit und wird er der großen Aufgabe gerecht, scheinen 7.668€ Bruttogehalt m.E. nach angemessen.

Ein weitaus größerer Kritikpunkt sind hingegen die zusätzlichen Einkünfte, welche die Politiker bspw. durch Vorträge beziehen (können). Hierbei handelt es sich augenscheinlich um eine legale Form der Bestechung; zumindest kann eine solche nicht ausgeschlossen werden. Abgeordnete werden von Steuergeldern für eine Vollzeit-Stelle bezahlt; und dies, wie bereits erwähnt, in angemessener Weise. Daraus sollte folgen, dass sie ihre (Arbeits-)Zeit auch ausschließlich mit ihrer Abgeordneten-Tätigkeit ausfüllen. Dies bedeutet nicht, grundsätzlich keine Vorträge bspw. vor Vertretern der freien Wirtschaft zu erlauben. Jedoch sollten entsprechende Bezahlungen an den Fiskus und nicht in die Tasche des einzelnen Politikers gehen. Der Abgeordnete handelt im Auftrag und in der Verantwortung des Volkes. Dies kann nicht gewährleistet werden, wenn er privaten Nebentätigkeiten nachgeht. Zudem scheinen die Politiker alles dafür zu tun, um diese Nebeneinkünfte zu verschleiern; dies schürt zu Recht zusätzliches Misstrauen in der Bevölkerung. Nur durch das große Engagement von Initiativen (bswp. Transparency International, Deutschland) ist es gelungen im Jahr 2007 dafür zu sorgen, dass es jedem Bürger überhaupt möglich ist, die Nebeneinkünfte von Politikern einzusehen. Jedoch reicht das entsprechende System bei weitem nicht aus. Bis 1000€ sind die Politiker demnach immer noch nicht verpflichtet, Rechenschaft über ihr zusätzliches Einkommen abzulegen. Auch höhere Beträge werden nur in kodierten Stufen bekannt gegeben. In diesem Jahr wollten einige Abgeordnete die Grenze für nicht meldepflichtige Einkünfte sogar auf 10.000€ anheben, was glücklicherweise (erneut durch das Engagement verschiedener Initiativen) verhindert werden konnte.

Der Bürger, welcher den Abgeordneten wählt und von diesem vertreten wird, hat somit nur eine sehr eingeschränkte Möglichkeit zu erfahren, in welchen persönlichen oder geschäftlichen Beziehungen der Politiker zu außerpolitischen Institutionen steht. Evtl. Einflüsse auf seine politische Arbeit sind nicht erkennbar.

Zudem gibt es Politiker, wie bspw. Peer Steinbrück (SPD), Guido Westerwelle (FDP), Walter Riester (SPD) und selbst Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), welche – betrachtet man die große Anzahl ihrer Vorträge – ancheinend auch während ihrer Arbeitszeit als Abgeordnete Vorträge halten und somit viel Geld verdienen (Quelle: www.nebeneinkuenfte-bundestag.de). Für die Bürger sollte ein solches Verhalten nicht hinnehmbar sein. Im Parlament oder in Ausschüssen werden Entscheidungen getroffen und die Bänke sind leer. Es stellt sich also die berechtigte Frage: Wo ist mein Vertreter, der von mir gewählt wurde und bezahlt wird, um (auch für mich) an wichtigen Stellen da zu sein? Wenn sich diese Frage damit beantworten lässt, dass der entsprechende Politiker in der freien Wirtschaft einen Vortrag hält, dafür horrende Summen kassiert und im Gegenzug die Interessen entsprechender Unternehmen vielleicht auch noch in seiner politischen Arbeit begünstigt, hat das ganze System mit Demokratie nicht mehr viel zu tun; denn der Wille des Volkes wird grob missachtet. Zudem kann das Argument, der Politiker habe große Verantwortung, nicht nur in der Debatte um die Höhe seines Gehalts angeführt werden. Es muss im Umkehrschluss auch dann gelten, wenn es um die Wahrnehmung der Verantwortung und somit seine Glaubwürdigkeit geht.

Freies Mandat vs. Fraktionszwang

Im Grundgesetz, Art. 38 (1) heißt es: „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“

Insbesondere der zweite Satz beschreibt das freie Mandat eines Bundestagsabgeordneten. Dieses steht jedoch in direktem Konflikt mit dem so genannten Fraktionszwang. Hiermit ist der Druck gemeint, den Fraktionsvorsitzende, -mitglieder und/oder die Partei auf den Abgeordneten ausüben, um bei Abstimmungen im Parlament bestimmte Ergebnisse sicher zu erzielen. Besonders bei nicht geheimen Abstimmungen, hat der Abgeordnete dadurch nahezu keine Möglichkeit, sich diesem Druck zu entziehen. Jedoch empört sich keiner über diesen offensichtlichen Verfassungsbruch seitens der Parteien. Vielmehr gilt es als Skandal, wenn sich ein Abgeordneter dem Fraktionszwang einmal widersetzt; so geschehen bei der Ministerpräsidentenwahl in Hessen im Jahr 2008.

Der Grund für die Ausübung eines solchen Drucks liegt auf der Hand. Wenn eine Partei nicht geschlossen agiert, lassen sich bestimmte Entscheidungen nicht mit Sicherheit herbeiführen. Wird die Partei handlungsunfähig, da sie sich intern nicht einig ist, hat dies negative Auswirkungen auf die nächsten Wahlen. Somit ist es Abgeordneten nur noch in bestimmten Ausnahmesituationen (bspw. wenn es um Abtreibungsgesetze oder aktuell um die Präimplantationsdiagnostik geht) gestattet, tatsächlich frei nach ihrem Gewissen zu entscheiden. Die Partei bzw. die Fraktion muss es dem Abgeordneten in der Praxis also zunächst ausdrücklich gestatten, nach dem Grundgesetz zu handeln.

Diese Praxis untergräbt also die deutsche Verfassung und ist somit nicht hinnehmbar. Im Prinzip wird die Erststimme bei Wahlen, durch die der direkte Vertreter eines Wahlkreises bestimmt wird, durch den Fraktionszwang überflüssig. Denn es kommt anscheinend nicht mehr darauf an, welche Personen im Parlament sitzen; entscheidend ist ausschließlich die jeweilige Parteilinie. Der Fraktionszwang ist ein besonders prominentes Beispiel dafür, wie sich die Politik (und zwar jeder Couleur) einfach über im Grundgesetz festgelegte Gesetze und Vorgaben hinwegsetzt (und vor allem hinwegsetzen kann) und ihre jeweiligen Parteiinteressen an deren Stelle setzt. Da dies jedoch „immer schon so war“, gibt es augen-scheinlich wenig bis gar keinen Widerstand in den Medien und der Bevölkerung.

hd

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