Auf Kosten Anderer leben

In den letzten Tagen und Wochen mehren sich die Nachrichten von gestrandeten Flüchtlingen auf Malta und in Italien. Die Flüchtlingsströme werden mit den Unruhen in Tunesien, Ägypten und Libyen begründet. Dass viele Menschen aus Afrika, dem nahen und dem mittleren Osten versuchen in die Europäische Union einzureisen ist jedoch kein neues Phänomen. Schon seit Jahren wollen die Menschen der Armut und den menschenunwürdigen Lebensbedingungen in ihren Heimatländern entfliehen.

Dass viele der Flüchtlinge jedoch gar nicht erst in den EU-Ländern ankommen oder umgehend wieder abgeschoben werden, liegt an den vielschichtigen Interventionen der EU oder einzelnen ihrer Mitgliedsstaaten. So existiert(e) bspw. seit 2008 ein Abkommen zwischen Libyen und Italien, in welchem Libyen sich im Gegenzug für finanzielle Hilfen dazu verpflichtete, Flüchtlinge aus Afrika an der Einreise nach Italien zu hindern. Welche Methoden hierbei angewendet wurden, wurde weder hinterfragt noch öffentlich dargelegt.

Ebenso zweifelhaft dürften allerdings auch die Einsätze der europäischen Grenzschutzagentur Frontex sein. Ihre Aufgabe ist es, den Grenzschutz der EU zu organisieren. Erst jüngst startete sie die Mission „Hermes 2011“ auf Lampedusa.

Bisher war die Agentur in der Öffentlichkeit eine eher unbekannte Institution, obwohl viele Menschenrechtsorganisationen mehrfach auf ihre zweifelhaften Praktiken aufmerksam machten.

Dass die Anzahl der Flüchtlinge in diesen Wochen so rasant ansteigt, ist mit Sicherheit eine Folge der Unruhen in Nordafrika. Es wäre aber falsch dies als alleinige Ursache zu sehen. Dagegen spricht bereits die Tatsache, dass die Flüchtlinge nicht nur aus den betroffenen Staaten stammen, sondern aus vielen Regionen des afrikanischen Kontinents. Es scheint also eher der Fall zu sein, dass durch die Unruhen (vor allem in Libyen) die bisherigen Systeme zur Abhaltung der Flüchtlinge versagen, sie also nur den Anlass nicht aber die Ursache darstellen.

Es ist offensichtlich, dass die Menschen aus den so genannten Entwicklungsländern vor der Armut der fliehen. Aber warum leben sie überhaupt in Armut? Haben sie ihre Situation selbst verschuldet?

Nein, die Ursache ist mit Sicherheit nicht in einem Eigenverschulden der Flüchtlinge zu sehen. Die führenden Industrieländer leben seit Jahrzehnten auf Kosten der ärmeren Länder:

  • Ihre Produktionsüberschüsse überschwemmen die Märkte der Entwicklungsländer und zerstören die einheimische Wirtschaft.
  • Westliche Großkonzerne beuten die einheimischen Ressourcen (Regenwald, Wasser, fruchtbares Land etc.) aus.
  • Die Technologien der Industrieländer schaden dem Klima. Die Folgen bekommen aufgrund ihrer geographischen Lage zuallererst die Entwicklungsländer zu spüren (Wasserknappheit, Bodenerosionen etc.).
  • Produkte aus den Entwicklungsländern werden in die Industrieländer importiert. Die einheimischen Landwirte und Arbeiter werden dabei nur in den seltensten Fällen gerecht entlohnt.
  • Es gibt derzeit genug Nahrungsmittel, um die gesamte Weltbevölkerung zu ernähren. Aufgrund der Profitgier der westlichen Konzerne werden überschüssige Lebensmittel jedoch nicht kostenlos verteilt, sondern entsorgt (dies geschieht übrigens auch innerhalb der deutschen Grenzen).

Diese Liste ließe sich noch sehr weit fortführen. Fakt ist, dass die Industriegesellschaften auf Kosten der Entwicklungsländer leben. So wundert es nicht, dass viele Menschen bspw. in Afrika ihrem Leben in Armut und Elend entfliehen wollen. Auf hochriskanten Wegen setzen sie ihr Leben aufs Spiel und investieren ihr gesamtes Hab und Gut, da sie sich in der EU ein besseres Leben erhoffen. Viele von ihnen kommen auf der Reise in das „gelobte Land“ ums Leben. Die, die es schaffen werden umgehend (und oft ohne einen Asylantrag stellen zu können) abgeschoben und in ihre Herkunftsländer eskortiert.

Wirtschaftsflüchtlinge (so die offizielle Bezeichnung) haben kein Recht darauf in der EU bleiben zu dürfen. Dass der Grund ihrer Armut jedoch vor allem in dem Wachstumswahn, der Profitgier und Bewahrung des hohen Lebensstandards der Industrieländer liegt, wird in diesem Kontext verschwiegen.

Es bleibt zu hoffen, dass die aktuellen Flüchtlingsströme Anlass dazu bieten, eine Debatte um das Thema zu eröffnen. Jedoch muss diese offen und ehrlich geführt werden. Es kann nicht sein, dass sich die westliche Welt nur auf sich konzentriert und verdrängt, dass ihr eigener Wohlstand auf Kosten anderer Menschen finanziert wird.

So muss einerseits neu diskutiert werden, wie wir mit Flüchtlingen aus Entwicklungsländern umgehen. Es kann nicht sein, dass die EU ein Bollwerk errichtet, um das von ihr produzierte Leid aus dem eigenen Territorium zu verbannen. Die Verantwortung für das Elend muss übernommen werden und entsprechende Konsequenzen müssen erfolgen. Dies bedeutet nicht zuletzt auch, dass jeder Einzelne sich überlegen muss, wie er sein Leben führen will. Auch wenn es einem nicht jeden Tag vor Augen geführt wird und die Regierungen alles tun, um entsprechende Zusammenhänge zu verschleiern; wir müssen uns überlegen, ob wir unseren Lebensstandard um jeden Preis erhalten wollen und uns in jedem Fall bewusst machen, dass wir damit anderen Menschen schaden. Dies heißt einerseits sich Gedanken über seine eigene Lebensführung zu machen, aber auch, sich zu informieren und aktiv in die öffentliche Diskussion einzumischen.

Buchtip:

Einen guten Einblick in das große Themengebiet bietet bspw. das Buch „Klimakriege“ von Harald Welzer.

Verlag: Fischer Tb
Jahr/Auflage: 2010/2.Auflage
Preis: 9,95€

Hier werden unter anderem die Verbindungen zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungsländern, sowie internationale und nationale Konflikte der letzten Jahre sehr genau und kritisch analysiert. Zudem entwirft Welzer verschiedene realistische Szenarien für die Zukunft, je nachdem wie sich die Welt verändern wird.

Aktuelle Informationen zum Thema gibt es zudem immer wieder bei amnesty international und vielen anderen Menschenrechtsorganisationen.

hd

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2 Antworten zu Auf Kosten Anderer leben

  1. Frank schreibt:

    Sehr geehrte Frau/Herr hd,
    möchte zu dem obigen Artikel folgendes mitteilen.
    1. Der immer wieder zu hörende Vorwurf die Industrieländer würden auf die Kosten der ärmeren Länder leben, ist wohl etwas differenzierter zu sehen als es generell so dargestellt wird.
    Ohnegleichen ist es Fakt, daß die großen Konzerne aufkaufen was sie können. Das liegt in ihrer Natur (System) und wird weltweit betrieben, wenngleich die alten großen Kolonialstaaten sich doch schon die rentablen Objekte seit eben dieser Zeit gesichert haben.
    Also – so wie diese Konzerne und Regierungen sich absichern, tun sie dasselbe doch in den sog. reichen Ländern. Hier ist auch schon alles aufgeteilt und man muß sich in das Gefüge als kl. Rädchen einfügen oder man ist draußen.
    D.h. wenn dem nunmal so ist, dann ist die Behauptung ‚wir‘, ‚der Westen’….würden auf Kosten der armen Länder leben, in Bezug auf den allergrößten Bevölkerungsteil im ‚reichen Westen‘ sowas von falsch und an der Realität vorbei, daß man nur von totaler Blindheit geschlagen sein muß um soetwas zu behaupten.
    Nur mal um Sie auf den Stand zu bringen: Versch. Staaten der EU-Zone sind pleite und werden nun durch andere (hauptsächl. vom dt. Michel) aufgefangen bis auch der nicht mehr kann!
    Die Massenproteste in diesen, sowie anderen Ländern, die Existenzabsicherung auf niedrigstem Niveau, Alters- sowie Kinderarmut auch beim Exportweltmeister (Dt.)
    sind seit einiger Zeit trotz gigantischer expandierender Gewinne von Großkonzernen
    die Realität! Diese Leute haben im Grunde die genausogroße Auswahl innerhalb Ihres Systems, wie die Leute in den sog. armen Ländern, nämlich mitschwimmen oder untergehen, mit dem kleinen aber gewichtigen Unterschied, daß in den sog. armen Ländern ein Geburtenüberschuß stattfindet, der ja eigentlich garnicht stattfinden dürfte in Ländern wo man nach manchen ‚Medienaussagen garnicht überleben kann‘ und deswegen fliehen muß!
    Ich denke diese Aussagen, genauso wie Ihre, sind größtenteils einseitig und verfolgen ein (ihr) ideologisches Ziel!
    Ich hoffen Ihnen mit dieser Aussage weitergeholfen zu haben,
    mfg

    • respu schreibt:

      Hallo Frank,
      danke für Ihren kritischen Kommentar. Sowas hilft uns selbstverständlich und hoffentlich auch allen Lesern immer weiter. Demokratie (und dazu verpflichtet sich dieser/dieses Blog) lebt von Meinungsvielfalt und kontroverser Diskussion. Nur so können wir unsere Meinung festigen, erweitern oder auch begründet ändern!

      Ich denke allerdings nicht, dass meine Ansichten völlig falsch sind. Wie im Artikel aufgeführt leben wir sehr wohl auf die Kosten anderer Länder. Dass diese sich der gleichen Methoden bedienen (sofern sie es denn können), wie die westlichen Staaten ändert an dieser Tatsache ja erst einmal nichts; auch wenn dies wahrscheinlich eine traurige Tatsache ist. Wie Sie ganz richtig erkannt haben, hat man oft nur die Möglichkeit sich in das bestehende System zu integrieren oder außen vor zu bleiben. Diese „Friss oder Stirb“-Mentalität ist mit Sicherheit eines der grundsätzlichen Probleme. Dies sollte aber nicht dazu führen, andere Ansichten oder Kritik als falsch zurückzuweisen. Vielmehr sollte diese Tatsache Anlass dazu bieten, das System einmal in Frage zu stellen. Und damit sind nicht die politischen bzw. demokratischen Systeme der westlichen Staaten gemeint, sondern die unsoziale und teils menschenverachtende Wirtschaftsweise, welche hier vorherrscht.
      Danke für den Hinweis, dass es auch in Deutschland und Europa große Probleme gibt; dies ist selbstverständlich richtig und bei Gelegenheit werden wir einen Artikel zu diesem Thema verfassen. Das Problem ist hierbei allerdings ein ähnliches: Manche Menschen werden immer reicher, andere immer ärmer; die Schere öffnet sich immer weiter. Große Konzerne fahren Gewinne ein und die Staaten stürzen sich in immer größere Schulden. Allerdings hindert das die aktuelle Regierung der BRD nicht daran, den Konzernen weiterhin Geschenke zu machen (siehe Atompolitik, Hotelsteuer etc.). Die freie Marktwirtschaft zeigt sowohl national, als auch international in diesen Zeiten ihre gefährlichste Seite. Viele Menschen bleiben dabei auf der Strecke; und diese Menschen SIND Teil des Systems. Deshalb muss ein Umdenken stattfinden. Das nationale und das globale Wirtschaftssystem müssen sozialer (und ökologischer) werden. Damit ist kein Systemwechsel hin zum Sozialismus oder Kommunismus gemeint; vielmehr die Entwicklung eines neuen, zwar freien Systems, welches sich aber zum Schutz der gesamten (!) Menschheit an bestimmte Regeln zu halten hat und auch Grenzen kennt. Und diese Grenzen muss auch jeder Einzelne erkennen. Der Lebensstandard einer kleinen Gruppe der Menschheit finanziert sich momentan nur durch das Leid der Mehrheit; sowohl in Deutschland, als auch in der gesamten Welt. Dass das System momentan halt so ist, kann nicht als Entschuldigung dafür dienen, die wachsende Armut auf der ganzen Welt zu rechtfertigen. Es ist vielmehr der Grund hierfür und muss deshalb kritisch hinterfragt werden. Der Artikel soll ein Appell zum Umdenken sein. Wir müssen uns entscheiden, ob wir weiterhin Großkonzerne bestimmen lassen wollen was passiert (bzw. unsere Regierung das für uns übernehmen lassen), oder ob wir nicht Geld und Profit, sondern soziale und ethische Werte zu unserer Maxime machen. Dies muss jeder für sich selbst entscheiden und ggf. im Rahmen unserer demokratischen Grundrechte dafür eintreten.
      Ich würde mich freuen, wenn ich Sie und auch andere Leser davon überzeugen konnte, dass nicht bloße Ideologie, sondern eine eigenständig gebildete Meinung hinter meinem Artikel steht. Um diese auch weiterzubilden, freue ich mich/freuen wir uns immer über konstruktive Kritik; diese Seite ist auch ein Ort des Austauschs. Sollten Sie weitere Gegenargumente haben, würde ich mich freuen diese demnächst hier lesen und dazu Stellung beziehen zu können. Gleiches gilt für den Fall, dass Ihnen meine Argumentation evtl. nicht klar geworden ist. In diesem Fall bin ich zu weiteren Erklärungen ebenfalls selbstverständlich bereit.
      Mit freundlichen Grüßen,
      hd

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