Die Gefahr des „gesellschaftsfähigen“ Rechtspopulismus

Die Berichte und Analysen über die Anschläge in Norwegen dominieren zurzeit auch die deutsche Medienlandschaft. Das Thema eignet sich anscheinend hervorragend, um das diesjährige Sommerloch zu stopfen. Dies bedeutet nicht, dass es nicht wichtig wäre, über die Anschläge und die entsprechenden Hintergründe zu debattieren. Doch geschieht dies momentan zu großen Teilen äußerst unreflektiert, unsortiert und überstürzt. So wurden – wie nach fast jedem Anschlag im europäischen Raum der letzten Jahre – innerhalb kürzester Zeit Diskussionen über gewaltverherrlichende Computerspiele, Schützenvereine und nicht zuletzt über die große Sicherheitsfrage initiiert. Doch das sog. „Manifest“ des norwegischen Attentäters sorgt nun für deutlich ernstzunehmendere Diskurse: Wie weit ist der Rechtspopulismus in Europa gekommen, ist er sogar gesellschaftsfähig geworden und welche Auswirkungen kann dies haben?

Die konventionellen Medien befassen sich diesbezüglich jedoch vor allem mit dem äußersten rechten Rand von Politik und Gesellschaft: Welche rassistischen Blogs und Internetseiten, welche rechten Parteien und Bürgerinitiativen gibt es, wie stark sind sie und welchen Einfluss besitzen sie?

Nur einige Blogs und unabhängige Nachrichtenseiten beschäftigen sich auch mit dem Rechtspopulismus – und hier insbesondere mit dem Hass auf den Islam -, welcher bereits seit geraumer Zeit in der Mitte der Gesellschaft Fuß gefasst hat.

Der freie Journalist Jens Berger verfasste in diesem Sinne einen Artikel für die alternative Nachrichten-Plattform „NachDenkSeiten“. Unter dem Titel „Die Brandstifter und die Biedermänner“ zeigt er auf, dass Rechtspopulisten, wie bspw. T. Sarrazin oder H.M. Broder schon seit einiger Zeit eine nicht zu unterschätzende Plattform in den (bürgerlichen) Medien geboten wird.

Nicht nur die Springerpresse (Bild, Die Welt) hofiert die Rechtspopulisten, indem sie ihnen den Raum für Gastbeiträge und Vorveröffentlichungen gibt. Sie bekommen selbst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eigene Sendeformate (z.B. „Entweder Broder“, ARD), treten regelmäßig in Talkshows (z.B. „Anne Will“, ARD) und Magazinen (z.B. „Aspekte“, ZDF) auf und können dort ihre verqueren und rassistischen Ansichten verbreiten. Schaut man sich die Kommentare unter entsprechenden YouTube-Videos und auf einschlägigen Blogs (u.a. auch das Blog der Bild) an wird sehr schnell deutlich, dass diese Beiträge auf fruchtbaren Boden fallen und somit Gefährliches anrichten (können).

Die Medien haben ihren kritischen Blick in dieser Hinsicht offensichtlich verloren. Denn diese Form des Rechtspopulismus hat nichts mehr mit einer freien Meinungsäußerung zu tun. Jens Berger schreibt dazu: „Rassismus und Hass gegen Minderheiten zu schüren liegt außerhalb der gesellschaftlich tolerierbaren Meinungspluralität. Das hat nichts mit Denktabus oder Political Correctness zu tun, sondern ist Grundvoraussetzung für ein friedliches Zusammenleben.“

Doch die Medien hinterfragen die momentanen Zustände in ihrer Branche selbst nach einem solch erschreckenden Attentat wie in Norwegen nicht. Es werden Debatten um Sicherheitsfragen geführt und höchstens noch auf Extremisten am rechten Rand gezeigt. Dabei zeigt ein Blick in das „Manifest“ des Attentäters Breivik, dass die größte Gefahr woanders liegt: In der Mitte unserer Gesellschaft.

So wird bspw. Herr Broder mehrfach von Breivik zitiert, was ihn jedoch lediglich zu unangemessenen Reaktionen auf seinem Blog bewegt hat („Me And The Manifesto“).

Rechtspopulistische Meinungen sind bereits bis in den Kern der bürgerlichen (und nicht nur der konservativen) Medien eingedrungen. Es gehört inzwischen fast zum guten Ton, verlauten zu lassen: „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!“ Wie Jens Berger jedoch richtig anmerkt, hat auch die Meinungsfreiheit klare Grenzen; und zwar dort wo die Würde eines anderen Menschen oder einer ganzen Gruppe von Menschen verletzt wird.

Statt dies aber anzuerkennen und entsprechende Konsequenzen zu ziehen, wird Herr Sarrazin vom ZDF medienwirksam durch Kreuzberg geführt; und ein Aufschrei geht durch die Medien, wenn ihm die Kreuzberger Bürger zeigen, dass er dort verständlicherweise kein gerngesehener Gast ist. Bei Anne Will darf er hingegen Thesen vertreten, die seit spätestens 1945 als widerlegt und ausschließlich rassistischen Ursprungs gelten dürften. Doch da schreit keiner mehr auf. Was ist also los in Deutschland?

Zwar sind die Rechtspopulisten noch nicht – wie bspw. in Dänemark, den Niederlanden, in Finnland oder Ungarn – im Bundesparlament angekommen, doch sitzen sie bereits in Landesparlamenten und zunehmend auch in Kreis- und Stadträten.

Dies fällt jedoch schon fast gar nicht mehr auf, da ein grundsätzlich kritisches Bewusstsein in der Bevölkerung fehlt. Solange die Medien ein solches jedoch nicht fördern, sondern ganz im Gegenteil den Rechtspopulisten dieses Landes sukzessive mehr Raum zur Verfügung stellen wird sich daran auch nichts ändern.

Jens Berger kommt in seinem Artikel zu einem m.E. richtigen und wichtigen Schluss: „Wenn schon die gesellschaftlichen Eliten diese rote Linie nicht ziehen wollen, dann müssen die Menschen rechtem Gedankengut die rote Karte zeigen – nicht nur bei Naziaufmärschen sondern auch gegen die Medienauftritte solcher Brandstifter.“

Schlussbemerkungen: SpiegelOnline konnte sich zumindest dazu durchringen, einen Artikel über die vorschnellen Vorverurteilungen in den meisten Medien zu veröffentlichen. Hasnain Kazim kritisiert darin, dass in vielen Zeitungen und auch von politischer Seite zunächst ausschließlich islamistische Terroristen hinter den Anschlägen in Norwegen vermutet wurden.

Der Artikel schließt mit den Sätzen: „Eine Zahl von Europol sollte als Warnung dienen: Die EU hatte im vergangenen Jahr 249 Terroranschläge zu beklagen. Nur drei hatten einen islamistischen Hintergrund.“ Zum Vergleich eine Zahl aus dem Artikel Bergers: „Insgesamt 149 Todesopfer rechter Gewalt wurden seit der Wiedervereinigung 1990 [in Deutschland] registriert“ Zwar soll der islamistische Terror an dieser Stelle nicht bagatellisiert werden, die genannte Tatsache sollte aber ein Anlass zum Zweifeln an der Berichterstattung der deutschen Medien sein; vor allem wenn man sich anschaut, welchen Ereignissen wie viel Raum gegeben wird und was dies für das Bewusstsein der Bevölkerung bedeutet. Bestes Beispiel dafür dürfte die Berichterstattung über den gestrigen Anschlag (25.7.11) auf ein von Sinti und Roma bewohntes Haus in Leverkusen sein. Mehr als einen Artikel wird man wohl in keiner Zeitung darüber lesen können; wenn überhaupt.

Darüber hinaus ist ein Artikel von Wolfgang Lieb zu diesem Thema sehr lesenswert; ebenfalls erschienen auf den NachDenkSeiten: „Es gibt diese klammheimliche Sympathie mit solchen fremdenfeindlichen, ja sogar rassistischen Thesen, sogar bis in die höchsten Kreise unserer Gesellschaft hinein. Das ist ein wichtiger Grund für das Wegschauen der Öffentlichkeit. Deutschland ist wieder einmal in Gefahr auf dem rechten Auge zu erblinden.“

hd

Nachtrag vom 27.7.2011:

Hier einige Hinweise auf Artikel, die vor allem das Thema des oben stehenden Artikels betreffen bzw. sich in unterschiedlicher Weise damit auseinandersetzen. Für weitere Hinweise sind wir dankbar (gerne auch kommentiert).

sueddeutsche.de: Neue Bedrohung, alte Rezepte

zeit.de: Europa verharmlost den Rechtspopulismus

telepolis (heise.de): Bundesregierung: „Tat und Täter weisen keine Bezüge nach Deutschland auf“

tagesschau.de: Der Innenminister schaut mit Sorge nach rechts

silicon.de: Anonymous ruft zur Suche nach dem Breivik-Manifest auf

Anonymous: Original-Aufruf zur Manipulation von Breiviks Manifest

sueddeutsche.de: Innenminister Friedrich warnt vor rechten Autonomen in Deutschland

Besonders erschreckend ist erneut die Berichterstattung der Springerpresse; im Kontext des oben stehenden Artikels sprechen die Berichte für sich. Sowohl bild.de als auch welt.online versuchen das Attentat fast ausschließlich auf persönliche (teils pathologische) Merkmale Breiviks zurückzuführen. Rechtspopulistische Hintergründe und somit Gefahren werden nahezu gänzlich ausgeschlossen. Dazu heißt es wiederum in einer Anmerkung von Jens Berger auf den NachDenkSeiten: „Die Verdrängungstaktik der WELT wird von Tag zu Tag abstruser. Würde der WELT-Psych[i]ater Josef Ludin auch behaupten, dass der „Hass auf die USA“ für Mohammed Attas Tat nebensächlich war? Wohl kaum, denn Ludin gehört selbst zu den rechtspopulistischen Hetzern, die ihr krudes Weltbild bei Springer veröffentlichen dürfen. Erst im Mai dieses Jahres schrieb Ludin ein islamfeindliches Essay für die WELT. Ausgerechnet ihn als „neutralen Experten“ zur Verharmlosung der hetzerischen WELT-Kampagnen ins Feld zu führen, ist unredlich und schäbig.

 

 

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Eine Antwort zu Die Gefahr des „gesellschaftsfähigen“ Rechtspopulismus

  1. EricB. schreibt:

    Nicht nur Deutschland ist auf dem rechten Auge blind, die EU ist es auch. Die gesamte Terrorabwehr in Europa ist auf linke Terroristen und fundamentalistische Islamisten ausgelegt. Nun will Brüssel das selbe Instrumentarium auf den Rechtsextremismus anwenden – doch das ist der falsche Ansatz… mehr auf lostineurope.posterous.com

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